DAB+ Deutschschweiz ab morgen alternativlos
Im Herbst 2009 starteten in der Schweiz zwei ambitionierte Radioprojekte auf DAB+. Zum einen war dies die nach Open-Source-Grundsätzen betriebene Plattform "Open Broadcast", in welcher die Hörer ihre eigenen Playlisten und später auch Sendungen beisteuern sollten. Dann war da auch noch "Backstageradio", welches bis dato von der Plattform für Schweizer Nachwuchsmusiker mx3 (seinerseits wiederum ein SRG-Produkt) als reines Internetradio betrieben wurde. Hier kann man als Radio-DJ zwar "nur" bestimmte Songs aus dem mx3-Pool on air schicken. Aber auch dessen Auswahl ist sehr reichhaltig und mit - meiner Meinung nach - qualitativ hochwertiger Musikware bestückt.
Nun hat Open Broadcast vor wenigen Wochen seine DAB+-Verbreitung eingestellt und ist nurmehr über Internet zu empfangen. Bei Backstageradio tätigt man diesen Schritt heute Nacht (30.6. auf 1.7.2011) ebenfalls. Bei Open Broadcast waren es finanzielle Differenzen zwischen Veranstalter und dem Senderbetreiber Swiss Mediacast. Warum nun auch Backstageradio nachzieht, ist unklar. Gemunkelt wird über einen Ausstieg des Hauptsponsors PostFinance, womit der Sendebetrieb über DAB+ nicht mehr finanzierbar sein dürfte. Auch hier wird explizit an den Internetstream des Programms verwiesen. An die Stelle von Backstageradio tritt ab morgen früh das RSR-Programm Espace 2.
Beiden Programmen war die Interaktivität seitens der Hörer gemeinsam. Man hatte theoretisch die Möglichkeit, "seine" Musik einem terrestrischen Radiopublikum vom Jurasüdfuss bis in die Surselva in Graubünden näherzubringen. Abseits von Radio- und Musikfreaks dürften beide Programme bislang aber nur geringen Bekanntheitsgrad erlangt haben.
Zugegeben, für die breite Masse sind beide Programme zu anspruchsvoll und zu breit gefächert. Auf Open Broadcast und Backstageradio gibt es keine Shakiras, Enrique Iglesiase, Pitbulls oder David Guettas. Gerade deshalb ist es aber schade, dass diese Programme nicht mehr terrestrisch verbreitet werden. Als letzte Bastion für alternative Musik verbleibt DRS Virus (von bestimmten nichtkommerziellen Lokalradios, Couleur 3 und FM4, die aber allesamt nur in bestimmten Schweizer Gegenden empfangbar sind, mal abgesehen).
Im Internet werden diese beiden Stationen zwar wohl auch in Zukunft weiterbestehen. In der riesigen Masse abertausender Programme werden sie aber vermutlich ein totales Schattendasein führen. Interaktives Radio kann man sich auch mit last.fm, Soundshack und Konsorten zusammenzimmern. Diese haben noch dazu einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad und werden von der netzaffinen Zielgruppe auch als "cooler" wahrgenommen. Gleichzeitig lebt interaktives Radio vom Reiz, sich und seinen Musikgeschmack präsentieren zu können. Wenn ich aber weiß, dass sonst keiner meine Zusammenstellungen anhört, weil er sie im Wust an Angeboten schlicht und einfach nicht findet, lasse ich es eben gleich ganz bleiben. So gesehen haben Open Broadcast und Backstageradio zwar sicher nicht die großen Massen erreicht. Man konnte aber immer noch sicher sein, dass einem irgendwo zwischen Biel und Ilanz ein paar Leute im drei oder vierstelligen Bereich zugehört haben dürften, weil sie eines dieser Programme unter "lediglich" 30 anderen in ihrem Digitalradio gefunden hatten.
Nun denn. Es bleibt mir nur, beiden Betreibern für ihre ambitionierten Radioprojekte weiterhin viel Erfolg zu wünschen. Vielleicht hört man sich ja eines Tages zumindest in einem der geplanten regionalen DAB+-Muxe wieder. Und bis dahin eben doch per Web. Für mich bleibt "Web" aber mangels Smartphone auch weiterhin nur sehr schwer empfangbar, wenn ich unterwegs bin. Und das bin ich bekanntermaßen sehr oft...
P.S.: Und ich weiß bereits, bei Backstageradio werde ich die schöne DAB+-Titelanzeige vermissen. Die wird dem Webstream nämlich nicht mitgegeben. Bei einem Programm mit derart viel "unbekannter" Musik tödlich.
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