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8.4.16

Böhmermanns "Schmähkritik": Gute Aktion, schlecht performt!

Ich lasse mich hier sonst nicht zu "tagesaktuellen" Geschichten aus (dafür komme ich auch zu selten zu einem Update hier^^). Aber die aktuelle Debatte rund um das allseits diskutierte Schmähgedicht von Jan Böhmermann an den türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan, treibt mich zu sehr um, als dass ich dazu meine Klappe halten kann.

In Anlehnung einer Rubrik aus den frühen Radiotagen Böhmermanns, als "Sanft und Sorgfältig" noch "Zwei alte Hasen erzählen von früher" und Olli Schulz noch Klaas Heufer-Umlauf hieß: Gute Aktion, schlecht performt!
Es war vermutlich nicht das Ziel Böhmermanns, einfach nur "einen auf den Extra3-Skandal" draufzusetzen, sondern es sollte seinem Publikum wie auch seinen Kritikern aufgezeigt werden, wie weit "Satire wirklich gehen darf". Dies wird besonders dort deutlich, als vor dem Gedicht im Gespräch mit Sidekick Ralf Kabelka erwähnt wird, dass man das nicht darf und "schlimmstenfalls die Sendung sogar aus Mediathek genommen werden könnte".

Böhmermann muss sich dabei die Kritik gefallen lassen, die ganze Aktion falsch aufbereitet zu haben. So hätten die erklärenden Worte zum Gedicht innerhalb des Gedichts fallen müssen. Damit wäre diese, wie ich finde, wichtige Passage nicht bei praktisch sämtlichen YouTube-Leaks rausgeschnitten worden und das Gedicht nicht allein stehend aus dem Kontext gerissen worden. Dieses mediale Feingefühl hätte ich der Produktionsfirma btf eigentlich zugetraut.
Auch das Timing mit dem in derselben Sendung veröffentlichten Videoclip "Be deutsch (Achtung! Germans on the Rise!)" hätte unglücklicher nicht sein können. Das eigentlich hervorragende, musikalisch an Till Lindemann (Rammstein) angelehnte Video, das die vielen positiven Eigenschaften der Deutschen herausstreichen sollte, ging in dem medialen Trubel der letzten Tage fast vollständig unter. Viel liebevolle Arbeit, deren Botschaft trotz vieler Klicks verpuffte. Das passt eigentlich nicht zu den früher so bis ins kleinste Detail geplanten und konzertierten Aktionen des NEO MAGAZIN ROYALE. Man denke an den allseits bekannten Varoufake-Skandal oder das Kuckucksei "Blamielen oder Kassielen", welches man schaffte, Stefan Raab unterzujubeln. Schade!

Böhmermann hat uns wertefrei den Spiegel vorgehalten, indem er uns gezeigt hat, dass Satire in Deutschland eben definitiv NICHT alles darf, wie es immer heißt. Sollte es nun auch noch zu einer Verurteilung kommen (was aber allgemein bezweifelt wird), wäre dies sogar von oberster richterlicher Seite bestätigt.
Leider ist die "Schmähkritik" an Erdoğan medial entgleist. Sie mag nicht in das Bild des sonst mit Humoraktionen so virtuos umgehenden Jan Böhmermann. Trotzdem glaube ich noch daran, dass sie 1-2 Jahren schon nur noch eine Fußnote in der Karriere Böhmermanns sein wird. Ich würde es mir wünschen. Für ihn, für die großartige Redaktion von NEO MAGAZIN ROYALE, der btf und für noch viele gesellschaftlich notwendige Diskussion, die er uns an die von Katzenvideos, Hatespeech und 140-Zeichen-Lebensverbesserungs-Botschaften durchtränkten Internetgehirne werfen wird.

Das Gedicht (komplett und unzensiert) inklusive der Diskussion drumherum kann bei Dailymotion abgerufen werden:



Und das hier aus der gestrigen Show vom 7.4.2016 war auch extrem großes Kino (und definitiv unpolitisch!). ;-)

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