Mitte Oktober fand in Friedrichshafen eine Fachtagung zum Thema "Öffentlicher Verkehr in Grenzregionen" mit Schwerpunkt auf die Dreiländerregion Bodensee statt. Meinereiner war dort ebenfalls zu Gast, mit etwas Verspätung (*pfeif*) eine Zusammenfassung dieses Tages:
Nach der Einleitung des Verkehrsplaners
Thomas J. Mager, welcher auch für die Durchführung dieser Tagung verantwortlich war, informierte uns Dr. Albrecht Kuder von der
Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK) über die Tätigkeiten und Einflussmöglichkeiten seiner Organisation. So tritt die IBK ein für verbesserte Verkehrswege innerhalb der Bodenseeregion, sowohl auf dem Straßen- als auch dem Schienenweg. So "soll die Bodenseeregion bis 2020 an das internationale Fernverkehrsnetz der Bahn angeschlossen werden sowie das Tarif- und Fahrplanangebot besser abgestimmt werden". Auch sollen Lücken im Fernstraßennetz geschlossen werden. Die Kompetenz der IBK liege vor allem in ihrer über Ländergrenzen hinweg bestehenden Stimme, um auf beratender Basis gemeinsam grenzüberschreitende Projekte vorwärts zu bringen.
Problematisch stellt sich für fast alle Referenten die gemeinsame Randlage aller drei Anrainerstaaten aus Sicht der jeweiligen Staaten dar. Die zentralen Bundesregierungen sitzen viele hunderte Kilometer entfernt in Berlin, Wien oder Bern. Entsprechend wenig Bezug haben die meisten Politiker zu den Problemen und Gegebenheiten am Bodensee, woher auch das oftmals entsprechende Desinteresse an dieser Gegend rührt. Selbst in Stuttgart und München sei das "Schwäbische Meer" weit entfernt und allenfalls als Tourismusziel ein Begriff (welches dann natürlich per Auto angefahren wird). War der Bodensee früher ein für die Alpenquerung bedeutsamer Verkehrsweg, wird er heute von praktisch allen wichtigen Schienenfernstrecken weiträumig umfahren. Die EC Zürich - München sowie einzelne Intercitys von Innsbruck nach Stuttgart und weiter stellen die einzigen internationalen Fernverbindungen in der Region dar.
Zentrales Element: Geltendorf - LindauIm Laufe des Tages wurden verschiedene in Planung bestehende Verbesserungen vorgestellt. Zentrales Element war dabei die von der Schweiz mitfinanzierte
Elektrifizierung Geltendorf - Memmingen - Lindau Hbf. Obwohl sich in der Bevölkerung bereits Widerstand dagegen formiert (wegen Lärm durch zusätzlichen Güterverkehr), soll dieses Projekt bis 2015 fertiggestellt sein. Damit auch die vom vermehrten Güterverkehr belasteten Anwohner etwas von der Elektrifizierung haben, sei es unabdingbar auch im Personenverkehr ein attraktives S-Bahn-Angebot aufzubauen, auch sollten auf dieser Linie gleichzeitig alte Haltepunkte reaktiviert und neue erstellt werden, um mehr Passagiere in die Züge zu locken. Bereits beschlossen ist, dass nach Fertigstellung der Arbeiten im 2-Stundentakt Neigezüge von Zürich über Lindau nach München verkehren werden. Die Fahrzeit wird dann auf 3h30 (heute 4h12) reduziert. Welches Wagenmaterial (ICE-T, ICN, Cisalpino gar?) dereinst eingesetzt werden soll, scheint man bei den Verantwortlichen nach meinen Informationen jedoch selber noch nicht zu wissen.
Auf Schweizer Seite sind ebenfalls Verbesserungen angedacht. So ist ab 2015 eine stündliche schnelle Direktverbindung St. Gallen - Konstanz geplant, weiters soll aus St. Gallen ein Vollknotenbahnhof werden (nach Vorbild Zürich HB, Basel SBB, Bern oder Visp). Bislang nur als Option seitens der SOB gehandelt wird die Verlängerung der St. Galler S6 bis Bregenz und Lindau Hbf. Immerhin soll nun auch auf Vorarlberger Seite die Strecke St. Margrethen - Bregenz ausgebaut werden...
Vorarlberger Takt tanzt aus der ReiheNicht offiziell vor-, mir aber dennoch zugetragen wurde ein exquisites Problem in Vorarlberg. Während in Deutschland und der Schweiz neue Vollknoten entstehen sollen (Lindau, Memmingen bzw. St. Gallen, Sargans), passt der aktuelle Vorarlberger Taktfahrplan nicht in dieses grenzüberschreitende Konzept. Die heutigen Taktzüge zwischen Bregenz - Bludenz - Schruns müssten um jeweils 15 Minuten verschoben werden, um auch in Vorarlberg perfekte Anschlüsse zu garantieren. Was beim Regionalverkehr dank Halbstundentakt wahrscheinlich ohne größere Mühe zu bewerkstelligen sein sollte (von Anpassungen im Bussystem abgesehen), wird im Fernverkehr zum Problem. Um den bereits heute existierenden (jedoch seit letztem Fahrplanwechsel reichlich aufgedröselten) Anschlussknoten Innsbruck weiterhin zu erreichen, müsste die Fahrzeit von Bregenz nach Innsbruck irgendwie um 10-15 Minuten reduziert werden. Dies wird sicher noch Anlass zu Diskussionen geben.
Ausbau im Grenzangebot beim LandbusNach der Mittagspause stellte Karlheinz Winkler vom Vorarlberger
Landbus Unterland sein Unternehmen vor. Persönlich hege ich ja eine fast abgöttische Liebe zu diesem Betrieb. So richtig erklären kann ich mir das bis heute selber nicht, aber ich liebe diese zitronengelben Busse und deren schlichten aber irgendwie extrem kultigen Haltestellensäulen, die mittlerweile in weiten Teilen Vorarlbergs Einzug gehalten haben. Auch das strikte Taktfahrplankonzept ist mehr als vorbildlich, wenngleich man sich mancherorts etwas mehr Kontinuität in der Angebotsgestaltung wünscht. (mancherorts wird das Liniennetz jedes Jahr auf's Neue umgeworfen)
Bei der Planung des ÖPNV-Angebots in Vorarlberg wird stärker als anderswo großer Wert auf den Dialog und den direkten Einbezug mit den einzelnen Gemeinden gelegt. Der Landbus Unterland ist denn auch kein Verkehrsbetrieb im eigentlichen Sinn, sondern ein Gemeindeverband mit welchem Fahrplan, Linienführung, Kostenaufteilung und die Aufträge an die jeweiligen Busunternehmen vergeben werden. Der Großteil der Fahrten wird hierbei beim
Postbus (Tochterunternehmen der ÖBB) bestellt, speziell kleinere Linien wie etwa die Rundkurse zum Pfänder und nach Eichenberg werden von günstigeren, ortsansässigen Reiseunternehmen gefahren, womit auch schwach frequentierte Linien einigermaßen wirtschaftlich mit attraktivem Taktfahrplan betrieben werden können und damit erst noch das lokale Gewerbe sowie der sanfte Tourismus gefördert wird. Allesamt unterstehen sie aber den Betriebskriterien und der CI des Landbus und letztlich jenen des
Verkehrsverbunds Vorarlberg). Das System ist erfolgreich: Im Jahre 2007 konnten die Fahrgastzahlen im Vergleich zu 2000 (Start des Landbus-Konzepts) von 12,5 auf 28,5 Mio. sowie das Angebot mehr als verdoppelt werden. Und auch im Jahre 2008 konnten Fahrgastzahlen und Ticketverkäufe weiter gesteigert werden.
Auch anderes Erfreuliches aus Vorarlberg war zu hören. Nachdem letztes Jahr (zumindest offiziell) die Linie 14a nach Lindau (D) und die Linie 15 nach Rheineck (CH) eingestellt wurden (Blog-Eintrag von
hier und
hier), verkündete Karlheinz Winkler die Wiederinbetriebnahme des 14a zum Berliner Platz und der Schaffung einer lange erwarteten Verbindung von Heerbrugg nach Lustenau bzw. Dornbirn.
Damit nicht genug, auch das deutsche Scheidegg ist nun unter Ausnutzung von Standzeiten besser Richtung Lochau angebunden und damit Richtung Österreich besser angeschlossen sein als in die übrigen Nachbarorte auf deutscher Seite. Soweit ich Herrn Winkler verstanden habe, wird letzteres Angebot auf finanziell eigene Faust realisiert. Die Verbindungen nach Lindau werden zudem zum Fahrplanwechsel Dez. 2009 ausgebaut und wie bis Mitte der 90er-Jahre wieder bis zur Insel verlängert. Dann sollen auch wieder - wie einst - Lindauer als auch Vorarlberger Busse gegenseitig zwischen Lindau und Bregenz zirkulieren.
Erste Querelen gibt es aber bereits wieder im Falle des reinkarnierten 14a. Die Linie konnte erst vor rund 2 Wochen ihren Betrieb definitiv aufnehmen, da die Betriebsbewilligung aus Augsburg noch auf sich warten ließ. Auch wurde dem 14a ein Bedienungsverbot innerhalb Lindaus übergestülpt. Von/nach Lindau sind nur Fahrgäste Richtung Hörbranz/Lochau (und weiter) zugelassen, man könnte mit den günstigen
Vorarlberger Tarifen dem deutlich
teureren Stadtbus Lindau ja Fahrgäste wegnehmen...
Die neue Linie 51 / 351 Heerbrugg - Lustenau lief indes fahrplanmäßig an, jedoch gibt's auch
altbekannte Grenzschwierigkeiten. So ist es wohl recht kompliziert, in den von der
RTB geführten Bussen das normale VVV-Fahrscheinsortiment zu erhalten. Die knapp gehaltenen Anschlüsse von/nach Dornbirn sind erst recht Glückssache, die Funksysteme von RTB und Landbus Unterland sind zueinander nämlich inkompatibel. Warum klappt sowas eigentlich in Liechtenstein ohne Probleme??
FLACHe Ideen im FürstentumAuch ein Vertreter aus Liechtenstein, Georg Sele vom
Verkehrsclub Liechtenstein, war als Referent zu Gast. Er präsentierte die aktuellen Gegebenheiten im Fürstentum, lobte (zurecht) das gute Angebot der
Liechtenstein Bus-Anstalt (LBA) und stellte die Pläne zur geplanten "
FL.A.CH"-Verbindung (S-Bahn Liechtenstein) vor, nach welcher ein Halbstundentakt zwischen Feldkirch und Buchs SG, sowie eine Weiterführung dieser Züge nach Sargans und Bludenz, allenfalls auch bis Chur angestrebt wird. Auch eine Südeinfahrt nach Feldkirch, u.a. um durchgehende Züge nach Rankweil und Dornbirn anbieten zu können ist in Diskussion. Der Bus soll künftig stärker als Bahnzubringer denn als Hauptverkehrsträger (heute der Fall) dienen. Sogar die Idee einer
Tramlinie nach dem Karlsruher Modell ("Tram-train") durch das Liechtensteiner Oberland via Schaan nach Feldkirch und Rankweil wird diskutiert. Die Idee einer Straßenbahn steht nebenbei auch seit längerem im Vorarlberger Unterland (Dreieck Bregenz-Dornbirn-Lustenau) im Raum.
Zuguterletzt...Fazit: Es wird dringend eine grenzüberschreitende und integrierte Planung aller vier beteiligten Anrainerstaaten benötigt. Diese findet heute aber bis auf wenige Ausnahmen im rudimentär vorhandenen Fernverkehr nur auf regionaler Ebene nach Landesgrenzen getrennt statt. Auf Schweizer Seite (aber eben auch nur dort) wird bereits bis 2030 geplant. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es verschiedene "Ideen", "Perspektiven" und "Horizonte", in Vorarlberg wurschtelt man sich mehrheitlich von Fahrplanwechsel zu Fahrplanwechsel durch und wartet ab, was dabei rauskommt. In der Schweiz gibt es nebst erwähnten Langzeitplanungen ambitionierte Ausbauvorhaben zur S-Bahn St. Gallen, eine wirkliche koordinierte Organisation mit den Nachbarn findet aber auch hier nicht statt, jeder zieht an seinem eigenen Strick. Ohne eine beharrliche und internationale Planung sind die nötigen Unterstützungsgelder aus Berlin, Wien, Bern und Brüssel aber nur schwer zu bekommen!
Weiters muss der Fokus auf gute Verbindungen der einzelnen Zentren (z.B. Durchbindung St. Gallen - Konstanz - Singen) gelegt werden, dennoch darf die Feinverteilung per Bus (in Zukunft vielleicht auch per Tram) nicht vergessen werden. Die rigorose "Diesellücke" der Bahn auf der deutschen Seite muss geschlossen werden, ebenso muss schleunigst ein grenzüberschreitendes Marketing- und Tarifkonzept geschaffen werden. Zwischen
Ostwind, VVV und
BODO soll mittelfristig ein Kombitarif umgesetzt werden, eine diesbezügliche Projektgruppe ist laut Guido Schoch von der SOB derzeit im Aufbau.
Eine wichtige Stimme sind weiters unabhängige Institutionen wie die IBK, aber auch Verkehrsorganisationen wie
VCD, Pro Bahn oder
VCS. Doch auch diese müssen sich noch viel stärker hervorbringen und ihre Anliegen vehement und immer wieder einbringen damit bestehende Probleme und Forderungen in den Köpfen verankert bleiben.
Die Henne-Ei-Diskussion über die Finanzierung grenzüberschreitender Angebote ist müßig. Ist ein attraktives ÖPNV-Angebot vorhanden, ergibt sich die Nachfrage von selbst. Der stete Angebotsausbau in der Schweiz und Vorarlberg belegt dies eindrucksvoll!
Bleibt zu hoffen, dass die an dieser Tagung angesprochenen Ideen und Visionen auch baldmöglichst umgesetzt werden. Einzelne Schritte dazu gibt es schon, doch nur gemeinsam sind wir stark! Ein Motto, das für den Bodenseeraum wie auch für Basel und andere Grenzregionen und Dreiländerecke Europas gilt.
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